Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

Entdecken Sie die wahre eschatologische Bedeutung des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen – jenseits moralistischer Klischees und fehlerhafter Auslegungen.Diese Studie zeigt die Verbindung zu den prophetischen Zeichen, dem Gericht über Israel und dem herrlichen Kommen des Messias. Eine tiefgehende biblische Analyse, die herausfordert und aufklärt.
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen
„Da standen alle diese Jungfrauen auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen.“ (Matthäus 25,7–8)
Fehlgeleitete Auslegungen des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen dekonstruieren
Im evangelikalen Volksglauben wurde das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matthäus 25,1–13) im Laufe der Kirchengeschichte häufig mit der Lehre von der Entrückung der Gemeinde verknüpft. Diese Sichtweise, beeinflusst von dispensationalistischen Endzeitauslegungen, identifiziert die klugen Jungfrauen mit „Geist-erfüllten Gläubigen“, während die törichten Jungfrauen als vermeintlich „fleischliche Gläubige“ gelten, unvorbereitet und ohne geistliche Fülle. In diesem Deutungsmodell wird das Öl zu einer moralisierenden Allegorie für individuelle Spiritualitätsstufen – meist in Verbindung mit charismatischen Erfahrungen – und das Ausschließen der Törichten erscheint als direkte Folge der Abwesenheit des Heiligen Geistes, was bei der Entrückung zur Verwerfung führen würde.
Diese Auslegung ignoriert jedoch sowohl den unmittelbaren literarischen Kontext des Gleichnisses als auch das spezifische eschatologische Szenario, auf das sich Jesus in Matthäus 24 und 25 bezieht. Das Gleichnis richtet sich nicht an die Gemeinde als mystischer Leib Christi, sondern an die Nation Israel. Es spielt vor dem Hintergrund der Ereignisse, die der sichtbaren Offenbarung des messianischen Reiches in Herrlichkeit vorausgehen – ein Ereignis, auf das das jüdische Volk seit Jahrhunderten wartet. Im vorangehenden Kapitel 24 beschreibt Jesus die Zeichen, die seinem Kommen zur Gerichtsausübung über die Nationen und zur Wiederherstellung des Reiches vorausgehen. Die Aufforderung zur Wachsamkeit bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine geheime Entrückung der Kirche, sondern auf die geforderte Bereitschaft angesichts der endzeitlichen Ereignisse, die Jerusalem und das jüdische Volk in den letzten Tagen betreffen werden.
Die moralistische Auslegung des Gleichnisses – fokussiert auf den Unterschied zwischen „geistlichen“ und „ungeistlichen“ Gläubigen, dargestellt durch die klugen und törichten Jungfrauen – verfälscht auch die theologische Tiefe des Textes. Wenn das Öl auf die Gegenwart des Heiligen Geistes oder ein bestimmtes Maß an persönlicher Weihe reduziert wird, verliert das Gleichnis seinen eschatologischen Gehalt. Das Symbol wird verfälscht und die prophetische Anforderung an Unterscheidungsvermögen und Gehorsam, die den Juden vor der Wiederkunft des Christus abverlangt wird, gerät aus dem Blick. Das Gleichnis behandelt nicht verschiedene Grade christlicher Spiritualität, sondern eine radikale Trennung innerhalb Israels – zwischen jenen Juden, die am Ende der Zeit dem Ruf des Messias folgen, und jenen, die, obwohl sie sich mit der Verheißung identifizieren, die Wachsamkeit vernachlässigen.
Bevor wir also in eine theologisch-eschatologische Analyse des Gleichnisses eintauchen, ist es notwendig, diese populäre, jedoch exegetisch unbegründete Sichtweise zu dekonstruieren. Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ist kein moralischer Appell zum Erhalt geistlicher Salbung, sondern ein feierlicher Aufruf zu prophetischem Unterscheidungsvermögen, Treue und Vorbereitung auf das herrliche Kommen des Menschensohnes, der über Israel regieren und die Nationen mit eisernem Zepter richten wird – insbesondere im Kontext der Wiederherstellung Israels und der Erfüllung der endzeitlichen Verheißungen.
Die prophetische Identität der Jungfrauen in der Eschatologie des Matthäus
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in Matthäus 25,1–13 ist ein integraler und organischer Bestandteil der eschatologischen Rede Jesu, die sich über die Kapitel 24 und 25 im Matthäusevangelium erstreckt. Es ist eines der Gleichnisse, die den abschließenden Abschnitt der sogenannten Endzeitrede bilden, deren Schwerpunkt auf der Unvorhersehbarkeit der Wiederkunft des Menschensohnes für das jüdische Volk liegt, und auf der daraus folgenden Notwendigkeit zur Wachsamkeit. Ähnlich wie bei den Gleichnissen vom treuen und klugen Knecht (Matthäus 24,45–51) und von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25,14–30) enthält auch dieses Gleichnis Warnungen vor dem kommenden Gericht über die Völker und die Ankunft des messianischen Königreichs. Es betont wesentliche Anforderungen an jene Generation von Juden, die die Zeit unmittelbar vor der Wiederherstellung des Reiches an Israel erleben wird.
Der Beginn des Gleichnisses mit dem Wort „Dann“ (gr. tóte) stellt eine klare zeitliche und logische Verbindung zum vorhergehenden Inhalt her, insbesondere zu den Ermahnungen in den folgenden Versen:
„So wacht nun, denn ihr wisst nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt. Das aber erkennt: Wenn der Hausherr wüsste, in welcher Nachtwache der Dieb käme, so würde er wachen und nicht zulassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. Darum seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.“ (Matthäus 24,42–51)
Die zentrale Figur des Gleichnisses – der Bräutigam – symbolisiert eindeutig den Messias, dessen Kommen gewiss und unvorhersehbar ist, auch wenn es sich verzögert (Mitternacht). Die Verzögerung führt dazu, dass alle Jungfrauen einschlafen (V. 5), was zeigt, dass der Schlaf selbst nicht verwerflich ist – denn sowohl die klugen als auch die törichten schlafen – sondern dass die mangelnde Vorbereitung auf den entscheidenden Moment das eigentliche Problem darstellt.
Die zehn Jungfrauen stellen kollektiv das Volk Israel in der Zeit vor der herrlichen Erscheinung des Messias dar. Sie teilen dieselbe Erwartung in Bezug auf das Kommen des Bräutigams und bewegen sich offenbar im gleichen religiösen, traditionellen und messianischen Kontext. Dennoch unterscheidet die Erzählung klar zwei Gruppen innerhalb dieser Gesamtheit: Fünf Jungfrauen werden als klug (phronimoi) bezeichnet, fünf als töricht (morai). Der Unterschied zwischen ihnen ist nicht moralischer Natur – denn alle sind Jungfrauen, alle warteten und waren bis zum entscheidenden Moment bereit –, und er liegt auch nicht in den Lampen – denn alle besitzen sie –, sondern in der Vorratshaltung von Öl, die in diesem Kontext Vorsicht angesichts der scheinbaren Verzögerung des Herrn symbolisiert.
Der Wendepunkt des Gleichnisses erfolgt um Mitternacht – ein symbolischer Moment, der auf die Unmittelbarkeit des Gerichts und das unerwartete Kommen des Messias hinweist: Ein Ruf ertönt – „Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!“ (V. 6). In diesem Augenblick wird deutlich, wer vorbereitet war und wer die Vorbereitung vernachlässigt hat. Die Klugen, die über eine Ölreserve verfügen, stehen sofort auf und machen ihre Lampen bereit. Die Törichten hingegen erkennen ihren Mangel und versuchen, diesen Fehler zu korrigieren, indem sie bei den Klugen Öl erbitten. Da jedoch kein Tausch möglich ist, machen sie sich auf, um Öl zu kaufen. Ihr verspäteter Versuch führt zur Ausgrenzung vom Fest: Während sie abwesend sind, kommt der Bräutigam, die Klugen gehen mit ihm zur Hochzeit hinein – und die Tür wird verschlossen (V. 10). Als die Törichten schließlich zurückkehren und um Einlass bitten, hören sie das feierliche und endgültige Urteil: „Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht!“ (V. 12) – ein Ausdruck, der direkt auf das endzeitliche Gericht anspielt, wie es bereits in Matthäus 7,23 angekündigt wurde.
Der Ausschluss der törichten Jungfrauen veranschaulicht die unumkehrbare Natur der endzeitlichen Entscheidung beim Kommen des Menschensohnes. Die Trennung zwischen Klugen und Törichten, zwischen denjenigen, die hineingehen, und denjenigen, die draußen bleiben, zwischen den Mitgenommenen und den Zurückgelassenen (vgl. Matthäus 24,40–41), erfolgt nicht auf Grundlage von Äußerlichkeit, Moral, Hoffnung oder Religiosität, sondern nach dem eindeutigen Kriterium: anhaltende Wachsamkeit und konkreter Gehorsam gegenüber Jesu prophetischer Warnung.
Wer sind die klugen und die törichten Jungfrauen?
In diesem spezifischen eschatologischen Zusammenhang stehen die klugen Jungfrauen für die Juden, die die Zeichen erkennen, die Jesus angekündigt hat – insbesondere im Gleichnis vom Feigenbaum (Matthäus 24,32–33), das auf Ereignisse der sogenannten „großen Drangsal“ verweist, die mit der „Gräuel der Verwüstung“ im Heiligtum beginnt, wie vom Propheten Daniel vorausgesagt (Matthäus 24,15). Sie erkennen, dass das Kommen des Menschensohnes nahe ist, und handeln sofort gemäß der ausdrücklichen Anweisung Christi:
„Dann sollen die, die in Judäa sind, auf die Berge fliehen; wer auf dem Dach ist, steige nicht hinab, um etwas aus seinem Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, kehre nicht zurück, um seinen Mantel zu holen.“ (Matthäus 24,16–18)
Dies ist ein prophetisches Gebot, das sofortigen Gehorsam verlangt angesichts der drohenden Belagerung Jerusalems, wie auch von Sacharja vorhergesagt wurde:
„Da werden sich alle Nationen versammeln, um gegen Jerusalem zu kämpfen … die Stadt wird eingenommen … und die Hälfte der Stadt wird in die Gefangenschaft geführt.“ (Sacharja 14,2)
Die törichten Jungfrauen hingegen symbolisieren jene Juden, die, obwohl sie zur Gemeinschaft Israels gehören und das Kommen des Reiches erwarten, die Zeiten nicht erkennen und die prophetische Warnung nicht befolgen. Ihr spätes Aufbrechen, um Öl zu kaufen, steht stellvertretend für jene, die angesichts des Ausbruchs der letzten Ereignisse nicht auf die Berge fliehen – und für sie ist es dann zu spät. Sie bleiben in der Stadt, gleichgültig oder taub gegenüber der Aufforderung zur Flucht – wie die Menschen in den Tagen Noahs und Lots, die weiter ihren Alltag lebten und das bevorstehende Gericht nicht erkannten (vgl. Matthäus 24,37–39). Ihre Unterlassung steht für praktischen Unglauben – nicht unbedingt aus Unkenntnis der messianischen Verheißung, sondern aus Ungehorsam gegenüber der offenbarten Weisung.
Die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit dieses Aufrufs zur Flucht wird durch die Worte Jesu selbst bestätigt, der die Härte jener Zeit betont: „Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen!“ (Matthäus 24,19). Die besondere Belastung fällt auf diese Frauen, weil die natürliche Bindung zum Kind – das nicht zurückgelassen werden kann – ihre Beweglichkeit einschränkt und die Flucht erschwert. Jesus warnt weiter: „Betet aber, dass eure Flucht nicht im Winter noch am Sabbat geschieht!“ (Matthäus 24,20). Der Winter steht für widrige klimatische Bedingungen, die die Bewegung durch Berge und Wüsten erschweren würden; der Sabbat hingegen, mit seinen religiösen und sozialen Einschränkungen im Judentum, könnte ein kulturelles und geistliches Hindernis für sofortigen Gehorsam darstellen. Diese Details zeigen: Die Flucht wird nicht symbolisch oder rein geistlich sein, sondern real, konkret und unausweichlich – und ihre Vernachlässigung könnte für die Zurückbleibenden tödlich enden.
In diesem Zusammenhang erhält die Figur des Öls eine tiefgreifende theologische Bedeutung: Es symbolisiert nicht den Heiligen Geist, sondern den Eifer des Gehorsams gegenüber dem prophetischen Aufruf des abgelehnten und gekreuzigten Rabbi. Das Öl steht für geistliches Unterscheidungsvermögen, das auf der Voraussicht Jesu über die Ereignisse basiert, die seinem Kommen vorausgehen würden. Es kann nicht übertragen oder zu spät erworben werden, denn es verkörpert eine persönliche, konkrete und vorausschauende Realität: bereit zu sein, dem Bräutigam entgegenzugehen, wenn der Mitternachtsruf ertönt.
Wichtig ist dabei zu betonen, dass der Bräutigam nicht zu den Jungfrauen kommt – sie müssen ihm entgegengehen (Matthäus 25,6). Dieses Detail unterstreicht den aktiven Charakter der endzeitlichen Wachsamkeit. Diejenigen, die auf die Zeichen achten – die gemäß Jesu Warnung in die Berge fliehen –, werden dem Bräutigam entgegengenommen. Wer hingegen in der Stadt bleibt, verhaftet an irdische Umstände, wird mit ihr untergehen – mit der Stadt, die als untreu gerichtet wird (Jesaja 1,21; 29,1).
So steht das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in direktem Zusammenhang mit der eschatologischen Szene in Matthäus 24,40–41:
„Dann werden zwei auf dem Feld sein; einer wird angenommen, und der andere wird zurückgelassen. Zwei Frauen werden an der Mühle mahlen; eine wird angenommen, und die andere wird zurückgelassen.“
Die Aufteilung zwischen den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen veranschaulicht dieselbe Realität: Es handelt sich um eine Trennung innerhalb des Volkes Israel – zwischen denen, die dem Ruf folgen und angenommen werden, und denen, die zurückgelassen werden, weil sie nicht gehorchten. Dieses symbolische Verhältnis von fünfzig Prozent verweist auch auf die Prophezeiung in Sacharja 14,2, wonach „die Hälfte der Stadt“ in Gefangenschaft geführt wird. Die Jungfrauen stehen somit repräsentativ für die gesamte Bevölkerung Israels während der Zeit der Drangsal und der großen Drangsal, und die Teilung unter ihnen zeigt: Nicht alle, die das Reich erwarten, werden für das Kommen des Königs vorbereitet sein (Jesaja 10,22).
Letztlich macht dieses Gleichnis das Gericht deutlich, das die Kinder Jakobs über sich selbst aufgehäuft haben und das über die jüdische Generation kommen wird, die in den letzten Tagen in Jerusalem lebt (Römer 2,5). Alle werden in gewissem Maße auf den Messias warten; alle werden Lampen haben, das heißt, ein gewisses Maß an Religiosität oder eschatologischer Erwartung. Doch nur die Hälfte wird Öl besitzen – jenen gehorsamen Glauben, der die Zeichen der Zeit erkennt und auf den prophetischen Aufruf mit Tat antwortet. Die Tür, die sich schließt, ist daher nicht nur Symbol für den endgültigen Ausschluss, sondern für die Unumkehrbarkeit des Gerichts angesichts des Ungehorsams.
Fazit
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen betont nicht nur die Pflicht zur Wachsamkeit, sondern offenbart die Struktur des endzeitlichen Gerichts über Israel:
Eine Trennung innerhalb des eigenen Volkes – zwischen denen, die fliehen, und denen, die bleiben; zwischen denen, die angenommen, und denen, die zurückgelassen werden; zwischen denen, die gehorchten, und denen, die die Stimme des Menschensohnes vernachlässigten.